„Jetzt für morgen investieren” – Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche

Veröffentlicht am 30. Juli 2018

Was Deutschland mit dem riesigen Haushaltsüberschuss anfangen soll, das wollte letzte Woche die Wirtschaftswoche von mir wissen. Mein Gastbeitrag:

Die Steuereinnahmen sprudeln, rund 24 Milliarden Euro betrug der Einnahmenüberschuss von Bund, Länder, Kommunen und Sozialkassen 2016. Finanziell ist unser Staat handlungsfähig wie lange nicht mehr – und diesen finanziellen Spielraum sollten wir nutzen. Anstatt Steuergeschenke mit der Gießkanne zu verteilen, sollten wir zielgerichtet Alleinerziehende, Familien und Menschen mit geringem Einkommen entlasten. Vor allem aber sollten wir in unsere Infrastruktur investieren. Und da haben wir hierzulande ein notorisches Defizit. Bei rund 2,2 Prozent des BIP lag die jährliche Investitionsquote in Deutschland zwischen 2005 und 2014, im OECD-Durchschnitt waren es 3,3 Prozent. Die Folgen: marode Schulen und Brücken – eine Hypothek auf die Zukunft. Dass die Bundesregierung hier auf Verschleiß fährt, belegte erst Anfang Februar eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Wir brauchen mehr Investitionen: In den Erhalt unserer Infrastruktur. Und in die Infrastruktur der Zukunft, in postfossile Mobilität oder eine digitale Verwaltung beispielsweise. Viele Städte in Deutschland wachsen, Investitionen in einen modernen öffentlichen Nahverkehr fehlen aber. Eine Milliarde zusätzlich pro Jahr könnte der Bund bereitstellen, um die ÖPNV-Infrastruktur zu sanieren und weiter ausbauen. Ein Marktanreizprogramm zum Aufbau von E-Bus-Flotten in unseren Städten könnte bereits mit überschaubaren Summen viel bewirken. Kaum ein Verkehrssektor entwickelt sich derzeit so dynamisch – und wird politisch so stiefmütterlich behandelt wie der Radverkehr. Im E-Bike-Zeitalter haben Radschnellwege gerade für Pendler ein großes Potenzial. 200 Millionen jährlich aus dem Bundeshaushalt für Radschnellwege und sicheren Radwegen entlang von Bundesschnellstraßen wären gut angelegtes Geld.

Ebenso gut angelegt wäre unser Geld in der dringend notwendigen Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. E-Government findet de facto in Deutschland nicht statt, wie der Normenkontrollrat in einem vernichtenden Gutachten letztes Jahr festgestellte. Der Investitionsbedarf für den Aufbau eines leistungsfähiges, kooperatives E-Government würde – einmalig – rund 1,7 Milliarden Euro betragen. Stundenlanges Anstehen und Wartenummer-Lotterie, wie derzeit in Berlin oder München üblich, wenn man einen neuen Personalausweis beantragen oder das Auto ummelden möchte, könnten dann der Vergangenheit angehören. Noch wichtiger wäre eine funktionierende digitale Verwaltung für Selbständige, für kleinere und mittlere Unternehmen. Der derzeitige Bürokratieaufwände könnte um rund ein Drittel sinken.

Dieser Beitrag ist am 2. März 2017 in der Wirtschaftswoche (online) erschienen.